Muss nur noch kurz die Welt retten

16.12.2019

Über den Druck, für eine besser Welt sorgen zu müssen

Titel

… danach flieg ich zu dir
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wer weiß was mir dann noch passiert
denn es passiert so viel.“

Es ist schon eine Weile her, dass Tim Bendzko diesen Ohrwurm schrieb und doch hat er nichts an seiner Aktualität verloren. Gut, heute würde Tim eher die Bahn nehmen statt zu fliegen. Denn mit Kurzstreckenflügen lässt sich das Klima und damit die Welt nun wirklich nicht retten. Mutig voran geht die Fridays for Future Bewegung. Ihr schließen sich auch immer mehr Christen an. Für eine bessere Zukunft, für eine lebenswerte Welt. Die Welt retten. Ein ganz schön hohes Ziel, oder? Nur keinen Druck.

Aber ich empfinde Druck. Druck etwas zu tun, etwas zu unternehmen. Und ich kann mich dem kaum entziehen. Im Radio, in meinem Newsfeed bei Facebook, bei Instagram. Auf vielen Wegen kommen die schlechten Nachrichten zu mir. Nachrichten über Trockenheit in Deutschland, Hungersnöte in Afrika, schmelzende Gletscher und ein brennender Amazonas. Psychologen sprechen bereits davon, dass sich der Mensch nun dauerhaft im „Katastrophenmodus“ befindet. In Notsituationen, wie zum Beispiel bei einem Autounfall, sind wir darauf konditioniert zu funktionieren und letzte Kräfte auszuschöpfen. Wir tun, was getan werden muss, um uns zu schützen. So lange, bis die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Dank der Medienpräsenz findet dieser Zustand nur schwer ein Ende. Wir sind ständig in Alarmbereitschaft und finden keine Ruhe.

Auch ich will etwas tun, besser spät als nie. Als Mensch sowieso und als Kind Gottes noch mehr. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass wir dazu berufen sind diese Welt im hier und jetzt mitzugestalten. Wir tragen eine Verantwortung für das, was uns anvertraut ist. Verantwortung für ein jedes Geschöpf und erst recht für unseren Nächsten. Und zugleich wird mir schmerzlich bewusst, wie begrenzt meine Möglichkeiten sind. Ist all das, was ich tue, jeder Verzicht, den ich einübe, nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Jesus wusste genau um diese Spannung, in der wir uns befinden. Das wird deutlich, wenn er vom Reich Gottes erzählt. Seinen Worten nach hat dieses Reich sowohl eine gegenwärtige als auch eine zukünftige Dimension.

Jesus bekräftigt, dass das Reich mitten unter uns ist. Es ist bereits angebrochen. Dort wo Jesus gegenwärtig ist, beginnt Reich Gottes schon jetzt: Kranke werden gesund, Dämonen müssen weichen und Hungernde werden satt. Uns gibt Jesus den Auftrag, die Botschaft weiter zu tragen. Dort, wo wir in seinem Namen unterwegs sind, wird das Reich Wirklichkeit. Zugleich beschreibt Jesus das Gottesreich als etwas Zukünftiges, das in seiner Vollendung noch aussteht. Und er stellt klar, dass er Anfänger und Vollender von diesem Reich ist.

Man mag diese zwei Perspektiven als widersprüchlich ansehen, als Spannung, die nur schwer auszuhalten ist. Bei näherem Betrachten aber entspannt es mich. Denn zum einen verheißt Gott mir, dass ich mit ihm wirklich was verändern kann. Er vertröstet mich nicht nur auf die Zukunft, sondern sendet mich, damit seine Herrschaft schon jetzt greifbar wird. Mit Jesus als meinem Herrn, vollmächtig und vom Geist geleitet darf ich der Welt einen süßen Vorgeschmack bereiten auf das, was noch kommt. Und zugleich weiß ich: Ich allein kann die Welt nicht retten und muss es auch nicht. Ich darf loslassen und dem vertrauen, der sein Leben gegeben hat für diese Welt. Jesus hat nicht all diese Last am Kreuz auf sich genommen, damit ich sie mir selbst wieder aufbürde. Ich kann das Reich Gottes nicht erzwingen, habe auf nichts einen Anspruch und darf doch alles erbitten.

Das gibt mir Mut die Dinge anzugehen, die ich ändern kann. Es gibt mir die Gelassenheit die Dinge Gott hinzulegen, die über meine Möglichkeiten hinausgehen. Ich darf zurückfinden von einer Sorge um die Welt hin zu einer Fürsorge für die Welt. Raus aus dem „Katastrophenmodus“, rein in den Frieden Gottes. Ich darf zur Ruhe kommen.

Darum freue ich mich über jedes noch so kleine Puzzleteil dieser von der Zukunft erfüllten Gegenwart. Über jeden Fair-Trade-Kaffee den ich genieße. Über das nachhaltig produzierte Smartphone in meiner Hand. Und ich denke an mein Patenkind in Mexiko, dass vielleicht in diesem Augenblick in der Schule seine ersten Buchstaben zu Papier bringt.
Auf Instagram und Twitter verzichte ich, Facebook bleibt die meiste Zeit des Tages geschlossen und das Radio aus. Ich weiß, was in der Welt los ist. Aber ich weiß auch, dass ich sie nicht retten muss.

Alisa Weichsler hat 2017 bei IGW absolviert und ist neben ihrem Masterstudium als freie Referentin im Ohofer Gemeinschaftsverband unterwegs

Mehr Gedanken zur Reich-Gottes-Ethik und einem bewussten Konsumverhalten findest du in ihrer ausgezeichneten Abschlussarbeit.


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