Umkämpfte Schöpfung

28.10.2019

Eine Untersuchung zur Erklärung des natürlichen Leids

Titel

Abschlussarbeit im Rahmen eines MAS in Praktischer Theologie am IGW – von Swen Wigert.

Eine Untersuchung zur Erklärung des natürlichen Leids bei Terence Fretheim und Gregory Boyd – im Anliegen der Sprachfähigkeit des christlichen Glaubens in einer postchristlichen, säkularisierten Gesellschaft. Die vollumfängliche Untersuchung ist hier ersichtlich.

Die Postmoderne: Nach der Zeit des Christentums
In den letzten beiden Jahrhunderten hat der christliche Glaube in der westlichen Gesellschaft an Boden verloren, und der zunehmende Prozess der Säkularisierung wandelt eine einst christliche Gesellschaft in eine postchristliche Gesellschaft um, in welcher kein christliches Grundverständnis (Ethik, Autorität, Bibelwissen, etc.) mehr vorhanden ist. Was darin konstant bleibt, ist das Wesen Mensch, das durch alle Zeitalter hindurch mit einem begehrenden Herzen geboren wird. Dadurch ist der Mensch sein Leben lang von gewissen Sehnsüchten und Fragen begleitet, die er zu erfüllen oder zu beantworten sucht. Je nach Epoche und Zeitgeist lassen sich aber unterschiedliche Sehnsüchte und Verlangen bestimmen, die meist durch spezifischen Mangel unterschiedlich ausgeprägt in Erscheinung treten. Somit lassen sich auch in der Postmoderne empirisch gestützte Sehnsüchte anhand der Phänomene und Eigenheiten der postchristlichen Mentalität ableiten.

Das natürliche Leid und biblisch-theologische Erklärungsmodelle von Fretheim und Boyd
Natürliches Leid – in Form einer gewaltigen Naturkatastrophe, die beträchtlichen Schaden anrichtet, tausende Menschen in den Tod reisst und Opfer verzweifelt und hoffnungslos ihrem Schicksal überlässt – hat eine aussergewöhnliche Kraft, einst tief gottesfürchtige Menschen in ihren Überzeugungen und in ihrem Gottesbild zu erschüttern, den Glauben an Gott zu zerstören und Menschen dahin zu führen, dass sie nichts mehr mit diesem Gott (falls es ihn angesichts des schrecklichen Leids denn überhaupt geben sollte) zu tun haben wollen. Das Leid ist der „Fels des Atheismus“ (Georg Büchner), an dem der Glaube vieler zerschellt, aber auch das „Megaphon Gottes“ (C. S. Lewis), durch welches einige aus ihrer geistlichen Lethargie herausgerissen und zu Gott gerufen werden. Das Gottesbild hat in diesem Prozess der Be- oder Entkehrung eine entscheidende und zentrale Rolle.

Nach Terence Fretheim ist die Erklärung für das natürliche Leid in der Schöpfungsordnung zu finden. Gott hat sein Monopol der Schöpfungsmacht auf andere Parteien aufgeteilt und sich dadurch in seinem eigenen Wirkungsradius freiwillig eingegrenzt. Die entfesselte Schöpfung ist damit nicht abgeschlossen, sondern kann in ihrer Schönheit und Majestät mit immer neuen Wundern überraschen. Darin verbirgt sich ein natürliches, aber gewaltiges Potential für natürliches Leid. Gott hat es erwählt, dass Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, Gletscher und mächtige Stürme massgeblich zur weiteren Gestaltung der Erde beitragen.

Nach Gregory Boyd ist die Liebe Gottes ultimativer Grund für die Schöpfung und ihr endgültiges Ziel: Gott schuf aus Liebe, mit dem Ziel, seine Liebe und Gemeinschaft zu erweitern. Damit Liebe möglich ist, muss Raum vorhanden sein, die Liebe freiwillig wählen zu können. Gottes Gegenüber muss also die Fähigkeit und Möglichkeit haben, seine Liebe nicht nur aus freiem Willen zu widerspiegeln, sondern diese auch zu verwerfen. Dies erklärt, warum Gott eine Welt schuf, in der Böses möglich ist: Dies heisst nicht, dass Gott das Böse entworfen hat, aber wenn Liebe in diesem Universum möglich sein soll, muss auch die Möglichkeit zum Bösen offen stehen. Der biblische Bericht offenbart, dass einige Geschöpfe diese Liebe abgelehnt haben und seither in Rebellion gegen Gott stehen und seine Absichten sabotieren. Boyd geht damit einen Schritt weiter als Fretheim und schliesst zur Erklärung des natürlichen Leids – da gewisse Katastrophen eher einem Akt des Terrors gleichen, als einem natürlichen Ereignis – die Aktivität und Beeinflussung von gottfeindlichen, geistlichen Mächten mit ein. Boyd kommt zu folgendem Schluss: Die Welt sieht einem Kriegsgebiet ähnlich, weil sie sich inmitten eines Kriegsschauplatzes befindet. 


Chancen der Erklärungsmodelle in einer postchristlichen Gesellschaft
Die beiden Erklärungsmodelle von Fretheim und Boyd zeugen von der enormen Komplexität der Schöpfung, der Offenheit Gottes sich auf Veränderungen einzulassen, der Freiheit und Eigenverantwortung der Geschöpfe, aber auch davon, dass gewaltige Naturphänomene natürliche Ereignisse sind – ihre katastrophalen Ausmasse sollten nicht verwundern, sondern sind zu erwarten. Eine grosse Chance beider Erklärungsmodelle ist das nahbare und gerechte Gottesbild: Gott ist nicht der direkte Ursprung, nicht der Hauptverantwortliche für das natürliche Leid und nicht dessen Verursacher. Damit können einige Bedenken vieler Zeitgenossen, dass Gott ein rachsüchtiger, willkürlicher und sadistischer Gott sei, entkräftet werden. Die Erklärungsmodelle zeugen von einem Gottesbild, das auf alle Sehnsüchte der Postmoderne einzugehen vermag: Der Mensch kann in diesem Gott nicht nur seinen spirituellen Durst, sondern auch seinen Hunger nach Gerechtigkeit stillen und dabei Annahme, Gemeinschaft, Akzeptanz, Sicherheit, Hilfe und Orientierung, aber auch Erfüllung und Sinn finden.

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