Gedanken dazu, wie die wahre Größe eine Gemeinde messbar wird
Nun bin ich seit 25 Jahren Pastor und verkehre natürlich in Kreisen, wo man vielen anderen Pastoren und Leitern begegnet. Bei diesen Begegnungen kommt sehr schnell die Frage auf: „Wieviele Leute habt ihr in der Gemeinde?“ oder „Wie groß seid ihr?“
Diese Frage hat mehrere Ebenen: zum einen soll die Info über die Gemeindegrösse helfen, die Gemeinde des Gegenübers besser einschätzen und sich eine klarere Vorstellung dieser Kirche machen zu können. Ob eine Gemeinde 40 oder 800 Leute hat verrät vermeintlich sofort etwas über die Art des Gottesdienstes, die Komplexität, die Angebote, die Räumlichkeiten, das Budget und so weiter.
Aber noch viel mehr gibt die Gemeindegrösse im Gespräch mit einem anderen Pastor darüber Auskunft, wie ich mein Gegenüber einschätzen muss und wie ich mich selbst im anstehenden Gespräch positionieren kann. Was für ein Kaliber an Leiter habe ich vor mir? Bin ich eher Meister oder Lehrling, Zuhörer oder Ratgeber, derjenige der bewundert wird oder der Bewundernde? So oft passiert es, dass einem irgendwie ein Stein vom Herzen fällt, wenn man gemeindemässig mithalten kann oder sogar höhere Mitgliederzahlen zu bieten hat. Ich habe so oft bemerkt, wie meine innere Zählweise in solchen Momenten sehr großzügig wurde: plötzlich zähle ich zu unseren Mitglieder auch die Neugeborenen oder die Leute, die ich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen habe.
Mal ehrlich: ich bin das alles so Leid! Ich habe null Bock mehr auf diese frommen Männlichkeitsrituale à la „wer hat den Größten...“. Ich bin des Vergleichens müde! Ich möchte aussteigen aus dem Karussell der demonstrierten Machbarkeiten.
Jesus war an Jüngerschaft interessiert und
nicht an Zahlen. In Johannes 6 hält er eine solch herausfordernde Rede seinen
Jüngern gegenüber, dass ihm viele danach die Gefolgschaft versagten. Und Jesus
stand danach nicht unter Schock über das, was er da gerade angerichtet hat,
sondern setzt noch eins drauf: „Daran nehmt ihr Anstoß? Wartet doch, bis
ihr den Menschensohn in den Himmel zurückkehren seht! (Joh.6,62) Er bettelt
auch nicht um die Unterstützung und Loyalität der zwölf verbliebenen engsten
Vertrauten, sondern stellt klärend die Frage, ob sie ihn ebenfalls verlassen
möchten.
Jesus wusste, dass das Reich Gottes mehr
mit einer Handvoll begeisterter und opferbereiter Jünger (= Lehrlinge, Schüler)
anfangen kann als mit 1000 Mitläufern, die man mit Wundern, Segnungen,
Verheißungen und Bewahrungen bei Laune halten muss.
Wie messen wir also den Zustand unsrer Gemeinden? An der Zahl der Gottesdienstbesucher? An den Mitgliederzahlen auf irgendwelchen Listen? An der Zahl Neubekehrter oder Getaufter? An den Vielen, die wir als Leiter mit unserem Charisma, unsren Predigten, unseren Erkenntnissen, unsrem Unterhaltungswert und der Fähigkeit uns ständig neu erfinden zu können bei der Stange halten müssen?
In einem Blogbeitrag von Mike Frost bin ich auf ein paar wesentlich spannendere Kriterien gestoßen, auf die wir in Zukunft zählen sollten, wenn wir unsere Gemeinde messen. Es würde uns auch helfen, uns wieder auf die zentrale Gemeindearbeit zu konzentrieren, anstatt Äußerlichkeiten zu optimieren (Sound, Licht, Info LCD im Foyer, Bühnenbild, Nebelmaschine...).
Diese Kriterien zeigen mir wieder, warum ich eigentlich damals vor 25 Jahren für die Gemeindearbeit angetreten bin. Sie klären nach Simon Sinek mein „Warum“. Denn ich verliere mich im gemeindlichen Konkurrenzangebot der Stadt so schnell im „Was“ und „Wie“.
Hier also ein paar der Vorschläge:
Und ich würde noch ergänzen:
Die Frage nach der
Gemeindegröße des Gegenübers bleibt also weiterhin völlig legitim, sollte bzw.
darf dann aber nicht der Maßstab für die eigentliche Größe der Gemeinde
bleiben.
Von Martin Benz
Martin Benz ist Pastor und Bereichsleiter Weiterbildung bei IGW.
Seinen Blog finden Sie hier.