Vom Hybridmotor zum Hybrid Kirche
von Dorothee Arnrich*
25 Jahre jung und frisch verliebt ist der Pionier
Ferdinand Porsche, als er um das Jahr 1900 den Hybrid-Motor (Vereinigung
Benzin- und Elektromotor) entwickelt. Porsche war bekannt für seine Innovation.
Erst kurz vorher hatte er einen Elektromotor konstruiert. Doch wie kam er auf
die Idee diesen mit einem Benzinmotor zu kombinieren?
Ferdinand Porsche will den Eltern seine geliebte
Aloisia vorstellen. Aber 400 km mit einem Elektromobil? Mindestens achtmal
müsste Porsche die Batterie während der Fahrt aufladen. Er überlegt.
Vielleicht einen anderen Motor? Doch auf einen Benzinantrieb umsteigen und die
Idee des elektrischen Antriebs aufgeben? Nein! Ferdinand Porsche hat eine Idee:
Er nimmt die jeweiligen Stärken dieser
beiden Motoren und vereint sie im Hybrid-Motor miteinander.
Dass dieses Modell auf den Bau des Reiches Gottes übertragbar ist zeigen zwei Praktische Theologen: Prof. Dr. Eberhard Hauschildt (Uni Bonn) und Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong (Uni Kiel) haben ein (kirchentheoretisches) Modell mit dem Namen „Kirche als Hybrid“ bzw. den „Hybrid Kirche“ entwickelt. Sie sind davon überzeugt, dass die Kirche der Zukunft mit einem Hybrid-Motor unterwegs sein muss. Die beiden möglichen Motoren des Hybrids Kirche sind das parochiale und das nichtparochiale Kirchenverständnis.
Durch die historische Entwicklung in den letzten Jahrhunderten ist die (Landes-) Kirche parochial geprägt. Das bedeutet, dass der Großteil der evangelischen Einwohner eines Stadtteiles oder Dorfes Mitglieder in einer sogenannten Parochie – einer Kirchengemeinde – sind. In den Parochien gibt es vergleichbare Angebote (vom Gottesdienst über den Konfirmandenunterricht bis zum Seniorenkreis). Doch die parochial geprägte Kirche im 21. Jahrhundert muss um- und weiterdenken! Die Verantwortungsträger haben erkannt: „Die Zeit bzw. die Gestalt der Volkskirche ist vorbei“ (Zulehner). Unsere Gesellschaft ist im Wandel und die Kirche ist mit diesen Wandlungsprozessen verwoben. Demographische und kulturelle Veränderungen, eine Aufsplittung in unterschiedliche Milieus, eine Kultur der Konfessionslosigkeit, Pfarrermangel, Gemeindefusionen, Regionalisierung und vieles mehr prägen die Kirche und die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts (Hempelmann). Individualität, Pluralität und das Prinzip der freien Wahl sind Schlagworte (Winkler).
Die Konsequenz daraus ist: Die Parochie
ist mit ihren Angeboten nicht mehr in der Lage in alle Milieus und Segmente der
Gesellschaft hineinzureichen und Menschen so zu dienen, dass sie einen
relevanten und wirksamen Kontakt mit dem Evangelium bekommen (Herbst). Dabei
ist klar: "Wir brauchen weder Barock noch Beton, sondern Bauhauskirchen: Form follows function – die Form einer Gemeinde muss ihrer Gesellschaftsgruppe bzw. ihrem Milieu
entsprechen“ (Scharnowski).
George Carey, 103. Erzbischof von Canterbury (1991 – 2002), führt diese
Gedanken weiter: „Ich befürworte nicht, dass wir alles Traditionelle und
Vielgeliebte aus der Vergangenheit einfach verwerfen. Aber ich setze mich sehr
für die Verschiedenheit ein, um den Glauben Menschen dort zugänglich zu machen,
wo sie heute tatsächlich stehen, und nicht dort, wo wir, die Kirche, denken, dass
sie sind.“
Aus dieser Erkenntnis ist in den letzten Jahren innerhalb der Kirche ein Reformprozess entstanden. Es gibt die Freiheit für vielfältige, missionarische, nichtparochiale Wege und Gestalten von Kirche. Neuen Formen von Kirche, die unserer Gesellschaft entsprechen, sollen, dürfen und müssen die parochialen Formen im 21. Jahrhundert zum Bau des Reiches Gottes ergänzen. Die anglikanische Kirche hat viele Jahre vor den deutschen Kirchen Erfahrungen mit diesen ergänzenden, nichtparochialen Formen gemacht. Sie sprechen von Fresh Expressions of Church (neue Ausdrucksformen von Kirche) – abgekürzt Fresh X. Fresh X entstehen an ganz unterschiedlichen, manchmal ungewöhnlichen Orten: im Pub, im Café, in einer Kletterhalle, … Eben dort, wo die Menschen sind. Dabei ist wichtig: Parochiale und nichtparochiale Formen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr müssen – wie beim Hybrid Motor – die Stärken dieser verschiedenen Wege in einem neuen Weg Kirche zu sein vereint werden.
Mich hat dabei das Bild eines Feldweges inspiriert: Zwei Wegstreifen die parallel zueinander „laufen“. In der Mitte ein grüner Mittelstreifen. Fährt ein Traktor auf diesem Feldweg wird deutlich: Er braucht beide Wegstreifen. Dieser Traktor kann als Bild für unsere zukünftige Kirche und den Bau des Reiches Gottes verstanden werden. Wir brauchen nicht nur den einen Wegstreifen der parochialen Kirche und nicht nur den anderen Wegstreifen der neuen – nichtparochialen – Form von Kirche. Sondern beide Wegstreifen: MEHR:WEG statt EIN:WEG.
Die anglikanische Kirche von England spricht
hier von einer mixed economy – Kirche.
Mixed
economy beschreibt das
gleichberechtige, ergänzende Miteinander und Füreinander (das „sowohl als auch“)
von parochialer Form und neuen – nichtparochialen – Ausdrucksformen innerhalb
der einen Kirche (bzw. Denomination).
Ins Deutsche kann mixed economy nur schwer übersetzt
werden: Es wird z.B. von „Mischwirtschaft“ oder „Kirche in doppelter oder
vielfacher Gestalt“, gesprochen.
Bilder wie der Hybrid - Motor oder der Feldweg helfen beim Verständnis.
In meiner Bachelorarbeit habe ich das Kirchenverständnis
der mixed economy – Kirche theologisch untersucht und beschreibe es anhand von
sieben Punkten, die in meiner Abschlussarbeit ausführlich nachgelesen werden können:
1. Mixed economy – Kirche ist nicht „entweder – oder“ sondern Mixed economy – Kirche ist sowohl-als-auch (Both…and!)
Das heisst, sowohl
die parochiale Kirche wird weiterentwickelt, gestärkt und gefördert werden,
als auch die Gründung und
Entwicklung von neuen, nichtparochialen Ausdrucksformen von Kirche. Beide
ergänzen sich wechselseitig.
2. Mixed economy – Kirche ist Kirche mit vielen Formen (“Church with many shapes”)
Wir brauchen in unserer gegenwärtigen
und zukünftigen pluralen Gesellschaft eine Kirche mit verschiedenen
(missionarischen) Formen, mit verschiedenen Frömmigkeitsstilen,
unterschiedlichen Profilen, Stilen und Gottesdienstformen. Eine Kirche für verschiedene
Zielgruppen, die auf unterschiedliche Situationen und Milieus unterschiedlich
reagiert.
3. Die
Mixed economy -
Kirche ist von Einheit und/in Vielfalt (Unity and diversity) bestimmt
In Joh 17 betet Jesu, dass wir eins werden sollen – aber nicht, dass wir alle gleich werden – Vielfalt ist möglich. Das bezieht sich nicht nur auf das Miteinander zwischen den unterschiedlichen Kirchen und Denominationen, sondern gerade auch auf das Miteinander unter dem Dach der einen Kirche bzw. Denomination mit ihren verschiedenen Formen.
4. Mixed economy – Kirche = Kirche, die (geistliche) Verantwortung (Accountability) (für die verschiedenen Formen innerhalb der Gemeinde) übernimmt und neue Formen ermöglicht und dazu ermutigt
Das bedeutet wenig Kontrolle der vielfältigen
Formen/aber hohe - auch geistliche! –Verantwortung füreinander. Das bedeutet
auch eine große Fehlertoleranz zu haben
für das was nicht gleich funktioniert und die Großzügigkeit, anderes
zuzulassen, sich gegenseitig ernst zu nehmen und sich wertzuschätzen.
5. Mixed
economy –
Kirche = Kirche, die (die aktuell vorhandenen) Zwischenräume überspringt
Ein Paradigmenwechsel in der Kirche geschieht
nicht von heute auf morgen. Der Abstand zwischen Parochie und dem 21.
Jahrhundert oder zwischen den Kirchenverständnissen ist momentan noch groß. Wir
befinden uns in Zeiten des Übergangs. Mixed economy hat das im Blick und
überspringt durch das parallele Kirchenverständnisse die Zwischenräume mit den
verschiedensten Unsicherheiten, …
6. Mixed
economy –
Kirche = Kirche, die in der Gesellschaft Gestalt gewinnt
Ursprünglich war die Kirche eng mit der
Gesellschaft verwoben. Doch in den letzten Jahrzehnten/Jahrhunderten hatte das
kaum noch Stellenwert. Die Engländer haben uns neu gezeigt, dass Kirche Sendung Gottes ist (Missio Dei) und
Kirche damit in die Gesellschaft, in Kontexte, in Kulturen hineinwirkt, Gehör
findet und neu eine gesellschaftliche Gestalt gewinnt.
7. Mixed
economy –
Kirche = Kirche, in der sich die notae ecclesia (Wesensmerkmale/
Kennzeichen der Kirche) und die vier Beziehungsdimensionen widerspiegeln
Die parochiale Kirche ist vom Augsburger Bekenntnis geprägt. D.h. Kirche entsteht dort, wo der Glaube durch das Hören des Wortes (Predigt) und die Sakramente (Taufe, Abendmahl, Luther ergänzt: Buße) empfangen wird. Aber es ist es wichtig, dass zu Wort und Sakrament noch weitere Merkmale hinzukommen. Mixed economy ergänzt hier das anglikanische Verständnis von den vier Beziehungsdimensionen. D.h. die Kirche schaut von sich selbst weg. Die Kirche dreht sich stattdessen um Jesus und sein Evangelium und lebt in einer vierfachen Beziehung: 1.) … zu Gott (UP – nach oben), 2.) …zur Welt (OUT – nach draußen), 3.) … zueinander (IN – nach innen) 4.) … zur ganze Kirche (OF – das Ganze). Das heißt nicht, dass alle diese Merkmale in jeder Ausdrucksform von Gemeinde erfüllt werden müssen. Aber im weiten Raum der mixed economy sollen sich alle diese Dimensionen widerspiegeln und zugänglich sein (OUT und OF fehlen in unseren Gemeinden oft).
Zusammenfassend kann gesagt werden: Die mixed economy – Kirche ist von einer Theologie des Miteinanders (Eiffler/Herbst/Todjeras) – in versöhnter Verschiedenheit (Meyer) – geprägt.
Das macht Mut Gottes Reich in den traditionell geprägten Denominationen mit neuen, ergänzenden Formen zu bauen. Lasst uns davon träumen (auch wenn dieser MEHR:WEG STATT EIN:WEG kein leichter sein wird), dass der Hybrid Kirche und damit die Philosophie der mixed economy die Kirche der Zukunft reformiert, so wie Porsches Hybrid – Motor die Automobilwelt verändert, ja reformiert und weitergebracht hat. MEHR:WEG statt EIN:WEG in seiner ganzen Dimension ist dem Bau des Reiches Gottes verpflichtet. Die jeweiligen Stärken der beiden Wege vereinen sich im Hybrid Kirche perfekt miteinander.
Papst Franziskus („Aus dem Schreiben Evangelii Gaudium (Nr. 27)“) spricht mir dabei aus dem Herzen: „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werde, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.“
Dieser Text ist ein Essay zu der Abschlussarbeit: MEHR:WEG statt EIN:WEG - Eine Untersuchung des Kirchenverständnisses der „Mixed Economy“ - Kirche
* Dorothee Arnrich hat 2016 bei IGW im BA Programm absolviert und arbeitet als Programmreferentin und Rezeptionsleitung im Evangelischen Allianzhaus in Bad Blankenburg. Ihr Herz schlägt für die Schokoladenzeit, eine frische Ausdrucksform von Gottes Reich mitten im Thüringer Wald. Sie freut sich im Masterprogramm von IGW immer mehr über Gesellschaft und Kirche im 21. Jahrhundert zu lernen und zu verstehen.