Gedanken zum Verhältnis von Kirche und Innovation
Von Boris Eichenberger
Die Kirche und Innovation – wahrlich zwei Gegensätze.
Dabei ist
Innovation eine Notwendigkeit, um die Botschaft von Jesus heute glaubwürdig zu
verkünden. Uns aber haftet der Geruch des Alten an. Wie Grossvaters Mantel
begleitet uns die muffelige Aura des Ewiggestrigen.
Wissenschaftlich
Interessierte mokieren sich über kreatonistischen Erklärungsmodelle, Moralisten
an zahlreichen Missbrauchsskandalen, Liberale an verklemmter Sexualethik und
Hedonisten an Jenseits-Fixierungen.
Dabei könnte Innovation eines der
Markenzeichen der Kirche sein. Der Geist, der über den Urwassern schwebte, war
an der grössten Innovation überhaupt beteiligt: der Schöpfung. Dieser Geist
lebt heute unter uns. Die Kraft Gottes haucht Totem wieder Leben ein und liess
Jesus auferstehen. Diese Kraft wirkt heute unter uns. Der Modus der Kirche
beschränkt sich aber verstörend oft aufs Kopieren. Die Referenzpunkte sind
Erfolgskirchen aus dem Ausland, die betreffend Grösse und Stil mit uns wenig
gemeinsam haben. Wir versuchen, von ihnen zu lernen, und ahmen sie nach. Wir
bewundern die erfolgreichen Leiter, die Mega-Churches managen und
Menschenmassen anziehen. Dabei verpassen wir oft das Originale, das Gott uns
geschenkt hat. Wir verlieren das Authentische, das Menschen anzieht.
Innovation! Sie zielt auf die Erleichterung. Wir nehmen Fortschritt an, wenn es uns hilft. Es vereinfacht den Alltag, verbessert das Leben, stillt unsere Wünsche. Ich kenne keinen Hausmann oder Hausfrau, die sich nicht über ein besseres Küchengerät freut. Und die Apple Keynote, die ihre neusten Gadget präsentiert, erzeugt bei mir ein Hochgefühl, das genau so lange anhält, wie die Preise nicht bekannt sind. Innovation in der Kirche ist kein Selbstzweck. Es zielt darauf ab, den Glauben zu leben und andere damit anzustecken. Es bewirkt, dass wir neue Bezüge zu unserem Umfeld herstellen und als Kirche wieder Teil davon werden.
Angst
verhindert Innovation.
Wir wollen nicht versagen, nicht doof dastehen und nicht
den biblischen Werten oder Gott selber untreu werden. Wir halten den Ball
flach, spielen auf sicher, orientieren uns am Bewährten und kopieren, was
anderswo funktioniert. Wir müssen nicht krampfhaft anders oder neu zu sein.
Eine Aufgabe ist, das uns Anvertraute zu bewahren. Die Herausforderung ist
dabei aber, den Schatz der biblischen Botschaft und der Glaubenstradition für
unser Umfeld zugänglich und verständlich zu leben. Von Gott geliebten Menschen
in dieser von Gott geschaffenen Welt erhalten kreative und verständliche
Zugänge zu dem, was uns anvertraut ist: Gott, der überfliessendes Leben
schenkt.
Selbstzentrierung
verhindert Innovation.
Erstere denkt von innen nach aussen, Zweitere von aussen
nach innen. Neues geht nicht von unseren Wünschen und Vorstellungen aus.
Innovation holt die Erwartungen, Sehnsüchten und Bedürfnissen der anderen ab.
Oft sind wir doch ausschliesslich mit uns selber beschäftigt. Das
Kirchen-Programm füllt unsere Agenda. Mit Menschen ausserhalb der Wohlfühl-Zone
Zeit zu verbringen kommt zu kurz. Was sind ihre Wünsche, ihre Ängste, ihre
Herausforderungen und ihre Hoffnungen? Viele Menschen tragen eine innere
Sehnsucht nach Sinn und Transzendenz und nach Gott in sich. Diesen Fragen
spüren wir in persönlichen Begegnungen nach. Wir lassen uns davon für neue
Formen von Kirchen inspirieren. Daraus entwickeln sich Gemeinschaften, die
glaubhaft und fragwürdig sind. Glaubhaft, weil sie das Leben und die Botschaft
von Jesus ernst nehmen und es heute zu leben versuchen. Und fragwürdig, weil es
Menschen zum Fragen bewegt und ihre Antwort in Jesus finden lässt.
Prognosen
sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen[1]. So bleibt
uns nur vages Spekulieren, welche Formen von Kirche Menschen in fünf oder zehn
Jahren anzusprechen vermögen.
Ich wage trotzdem einen Versuch.
Zum einen glaube
ich an die bestehenden klassischen Formen von Kirche mit einem Gottesdienst am
Sonntag, mit Kleingruppen und Diensten. Diese bewährte Form wird von Innovation
belebt und für vielen Menschen ein Orientierungspunkt. Zum zweiten glaube ich
an neue Formen, die die vier Grundvollzüge in Zeugnis, Liturgie, Diakonie und
Gemeinschaft anders denken und Kirche neu gestalten. Menschen, die dem Leben
und der Botschaft von Jesus treu bleiben, aber in einer Weise ausdrücken, die
wir heute kaum kennen: als Co-Working, als Lebens-Kommunität oder als
virtueller Raum?
Ich lasse mich überraschen.
[1] Frei nach Karl Valentin, Mark Twain und Nils Bohr.